Am Samstag, den 19. April waren wir auf dem Ostermarsch in Münster und forderten mit vielen anderen linken Organisationen den Stopp der wahnsinnigen Militarisierung und ein Ende von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.
Bei unserer Rede, die wir beim Auftakt am Servatiiplatz hielten, sprachen wir über Israels Waffenindustrie, welche nicht nur an Palästinenser:innen „kampf-erprobt“ wird, sondern unter anderem auch an die EU für Mittelmeer-Pushbacks verkauft wird.
Lest hier unsere Rede
Liebe Leute,
wir sind heute zusammengekommen, um für Frieden zu demonstrieren. Frieden ist ein seltsames Wort in einer Zeit, die voller Krieg, systematischer Gewalt und Zerstörung ist, in der Völkermorde in Gaza und im Sudan stattfinden, und der Kampf der imperialistischen Großmächte um die bestmögliche Stellung in einer neuen Weltordnung zu einem scheußlichen Wettrüsten führt. Wir stehen hier für Frieden, aber um zu verstehen, wie wir zu Frieden kommen, müssen wir erst einmal über die Gegner des Friedens sprechen, diejenigen, deren Ordnung auf Krieg und Gewalt gebaut ist und die lukrative Geschäfte mit dem Tod machen.
Ein besonders fruchtbarer Boden für die Waffen- und Kriegsproduzenten ist das besetzte Palästina.1 Hier kommen wesentliche Faktoren zusammen, die ein gutes Geschäft mit dem Krieg versprechen. Mit der gewaltsamen Errichtung des israelischen Kolonialregimes auf palästinensischem Land im Jahr 1948 wurde die Notwendigkeit geschaffen, einen permanenten Krieg gegen die einheimische palästinensische Bevölkerung zu führen. Von den Massakern und den ethnischen Säuberungen der Jahre 1947 und 48 bis zum Völkermord in Gaza und den ethnischen Säuberungen in der Westbank führt eine blutrote, nie unterbrochene Linie aus Vertreibung und Landraub, Besatzung und Apartheid und Niederschlagung jedes Widerstandes. Da die Aufrechterhaltung eines so drastischen Unrechtsregimes wie des israelischen Siedlerkolonialismus nur mit permanenter Gewalt möglich ist, sprossen aus dem besetzten Boden Palästinas bald immer mehr Unternehmen hervor, die Waffen, Rüstungsgüter und Überwachungstechnologien entwickeln und produzieren. Israel ist in etwa so groß wie Hessen, steht aber auf Platz neun der weltweiten Waffenproduktion.
Israelische Waffen und Technologien werden direkt vor Ort an den Palästinenser:innen ausgetestet, um dann unter dem Label „battle-tested“, kampferprobt, in die Welt exportiert zu werden. Dabei kooperiert Israel mit verbündeten Unrechtssystemen, historisch und auch aktuell. Als Südafrika noch ein Apartheid-Staat war, kooperierte der israelische Apartheid-Staat militärisch und diplomatisch. Südafrika lieferte Uran an Israel zum Bau von Atombomben, im Gegenzug lieferte Israel Technologie zum Bau von Nuklearwaffen und ein israelisches Kibbuz stellte Wasserwerfer her, die von Südafrika zur Niederschlagung der Anti-Apartheid Proteste genutzt wurden.
Heute ist Indien unter der rechtsnationalen Regierung Narendra Modis der größte Käufer israelischer Waffen. Israelische Drohnen wurden 2024 zur Niederschlagung der indischen Bauernproteste genutzt.
Zweitgrößter Käufer israelischer Waffen ist die EU. 2019 schloss die griechische Küstenwache einen Vertrag mit Elbit Systems, dem größten privaten israelischen Waffenproduzenten. Nur ein Jahr später wurde ein Vertrag zwischen Israel Aerospace Industries und Frontex geschlossen. Israelische Überwachungsdrohnen werden seitdem von Frontex genutzt, um Geflüchtete auf dem Mittelmeer aufzuspüren und ihre Koordinaten der libyschen Küstenwache zuzuschicken, oder um selbst direkte Pushbacks durchzuführen. Falls Geflüchtete es doch schaffen, in die EU zu gelangen, werden sie an den Außengrenzen wie auf der griechischen Insel Samos in Gefängnis-ähnlichen Lagern eingesperrt. Die Technologie für die Totalüberwachung in den Lagern liefern israelische Firmen.
Auch die USA nutzen Überwachungstechnologie von Elbit Systems, um die Grenze zu Mexiko dicht zu machen. Die meterhohen Überwachungstürme zwingen Menschen auf der Flucht dazu, große Umwege durch die Wüste oder über die Berge zu nehmen, und sind somit für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich.
Die Überlegenheit israelischer Überwachungstechnologie liegt an ihrer täglichen Anwendung und Weiterentwicklung an palästinensischen Körpern. Palästinenser:innen in der Westbank und Gaza
stehen unter Totalüberwachung. Die Einheit 8200 der israelischen Armee ist eigens dafür zuständig, Palästinenser:innen zu überwachen. Riesige Datenspeicher werden angelegt, in denen Daten über die palästinensische Bevölkerung gesammelt werden, und zwar alle Daten, Daten zu der politischen Einstellung, aber auch zur sexuellen Orientierung einzelner Palästinenser:innen und Krankheitsfällen in ihren Familien, mit denen man dann entweder ihre brutale Ermordung rechtfertigen oder sie erpressen und zu Informant:innen machen kann. Immer häufiger wird Künstliche Intelligenz genutzt, um die Daten auszuwerten und über Leben und Tod zu entscheiden. Im Vernichtungskrieg gegen Gaza setzt die israelische Besatzungsarmee Künstliche Intelligenz ein, die Todeslisten erstellt. Aus allen verfügbaren Daten wird die Wahrscheinlichkeit ermittelt, mit der ein Mensch Mitglied der Hamas oder einer anderen Widerstandsorganisation ist. Während vor einigen Jahren etwa 200 bis 300 Menschen im Jahr auf solche Listen gesetzt wurden, kann die KI heute 200 bis 300 Menschen in einer Stunde generieren, die vermeintliche Hamas-Mitglieder sind und zum Abschuss freigegeben werden können. Diese Nutzung von angeblich intelligenter Technologie, zusammen mit der bewussten Entscheidung der israelischen Regierung, dass pro vermeintlichem Hamas-Mitglied bis zu 300 weitere Menschen ermordet werden dürfen, führt zu dem unvorstellbaren Ausmaß an Grausamkeit, das uns im Völkermord in Gaza seit über anderthalb Jahren begegnet.
Der Umgang Israels mit den Palästinenser:innen gibt uns einen Ausblick auf die Zukunft. Wer wissen will, wie Überwachung und Unterwerfung von Gesellschaften morgen aussehen wird, muss heute auch auf Palästina schauen, und wer die vermeintlich intelligente, KI-gestützte Kriegsführung von morgen erleben möchte, darf die Augen vor dem Blutbad in Gaza nicht verschließen. Wir rufen alle Menschen, die sich ernsthaft für Frieden einsetzen, dazu auf, den israelischen Siedlerkolonialismus als Gegner des Friedens anzuerkennen. Wir rufen euch auf, israelische Produkte zu boykottieren und die Produkte derjenigen Unternehmen, die den israelischen Kolonialismus stützen. Schließt euch der BDS-Bewegung an, werdet aktiv für den Frieden.
- Quellen und weiterführende Informationen findet ihr in Anthony Loewenstein: The Palestine Laboratory. How Israel Exports the Technology of Occupation Around the World. Eine Aufbereitung des Buchs findet sich in der zweiteiligen Al-Jazeera-Dokumentation auf Youtube. ↩︎