6 Monate Hanau
Wir wollen heute den Menschen gedenken, die bei dem rassistischen Anschlag vor sechs
Monaten am 19.02.2020 in einer Shishabar in Hanau ermordet wurden:
Ferhat Ünvar
Mercedes Kierpacz
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin
Hamza Kurtović
Kaloyan Velkov
Vili Viorel Păun
Said Nesar Hashemi
Fatih Saraçoğlu
REST IN POWER!
Sie waren Menschen wie wir. Sie lebten, so wie wir heute leben, in einer Gesellschaft, die sie rassifizierte – das heißt, dass sie als Angehörige einer anderen, minderwertigen „Kultur“ oder „Religion“ wahrgenommen werden. Rassismus geht immer einher mit der Entmenschlichung rassifizierter Menschen. Egal welchen individuellen Hintergrund die einzelnen Menschen hatten, dem rassistischen Attentäter waren die Ermordeten gerade „anders“ und „fremd“ genug, um sie hinzurichten. Das ist eine Gefahr, vor der auch wir immer noch ungeschützt bleiben.
Rassismus tötet – das haben wir in Hanau gesehen und wir sehen es täglich in der ganzen Welt.
Deutschland ist kein Land, in dem institutioneller und individueller Rassismus besiegt wurden. Im Gegenteil. Rassismus gehört zu Deutschland und zum deutschen Alltag dazu. Rassismus ist in Deutschland nicht nur geduldet und erlaubt, sondern bahnt sich seinen Weg in medialen Darstellungen, in der Politik aller Parteien und einem Großteil anderer politischer Gruppen sowie in der behördlichen Verwaltung, im kapitalistischen Verwertungssystem von Unternehmen, in jeglichem Umgang mit denjenigen Menschen, die als anders wahrgenommen und markiert werden.
Deutschland ist keineswegs geläutert. Sondern auch 2020 ein Ort, an dem sich Neonazis, Rechtsradikale und andere Rassistinnen nicht nur zuhause fühlen können, sondern an dem Rassismus und Faschismus von Sicherheitsbehörden und Politikerinnen verschleiert, versteckt und toleriert, wenn nicht sogar unterstützt werden.
Die deutsche Situation ist besonders prekär für uns Palästinenserinnen. Einerseits ist die BRD verbündet mit einer imperialistischen, rassistischen und neokolonialen Allianz, die es erst ermöglicht, uns Palästinenserinnen unsere Rechte auf Freiheit, Gleichbereichtigung und Selbstbestimmung abzusprechen. Die es erst ermöglicht, uns zu unterdrücken, unsere Häuser zu zerstören, unser Land zu rauben, uns zu verfolgen, zu verhaften und zu töten. Wir sind in den Augen der Rassistinnen nichts wert. Um dieses Bild aufrecht zu erhalten, kommen Palästinenserinnen im deutschen Diskurs nur als muslimische Antisemitinnen oder als Terroristinnen und kriminelle Ausländer vor. Diese eindeutige, generalisierte und rassistische Wahrnehmung von Palästinenserinnen ist äußert wirkunsgvoll und nimmt uns auch in Deutschland das Recht auf freie Meinungsäußerung und politisches Engagement. Vor allem die Erzählung vom muslimischen Antisemitismus, die den europäischen Ursprung von modernem Antisemitismus leugnet und Antisemtismus in der Kultur von Musliminnen
und spezifisch Palästinenserinnen festschreibt, trägt zum Hass auf Palästinenserinnen als Palästinenserinnen, das heißt als ethnische Minderheit in Deutschland, bei. Dieser spezifische anti-palästinensische Rassismus geht einher mit andern „Rassismen“. Dazu zählt vor allem die in Deutschland mehrheitsfähige Islamophobie und der Hass gegen Menschen mit arabischem Hintergrund. Hierzu kommt der anti-palästinensische Rassismus unter den deutschen Linken: Sogennante „antideutsche“ Gruppen sind massiv an der Verbreitung von antimuslimischen Ressentiments beteiligt und tragen dazu bei, dass in Deutschland seit Jahren die Feindschaft gegen Musliminnen nicht als Rassismus anerkannt wurde und wird. Wir lassen uns von dieser äußert weißen Bewegung aber nicht bevormunden und nicht einschüchtern. Wir lassen uns nicht diktieren, welche politischen Meinungen in weißen Kreisen der Öffentlichkeit erwünscht sind. Vor allem akzeptieren wir nicht, dass die israelsolidarische Linke, die sich grundsätzlich als
antirassistisch gibt, bei dem Kampf gegen antipalästinensischen Rassismus eine Ausnahme macht.
Deshalb rufen wir alle diejenigen, die sich bedingungslos gegen Rassismus einsetzen
wollen, auf, gemeinsam aktiv zu werden. Gemeinsam aktiv zu werden und uns für
Menschenrechte, Gleichheit und Freiheit einsetzen! Wir wollen gemeinsam Rassismus
bekämpfen. Wir müssen dafür kämpfen, dass Rassist*innen nie wieder morden, nicht in
Hanau, nicht in Köln, nicht in Nürnberg, nicht in Solingen, nicht in Mölln, nicht in Gaza,
nicht in Jerusalem, nicht in Jenin und nirgendwo auf der Welt!
Lasst uns gemeinsam laut sein! Lasst uns zeigen, dass es ohne Gerechtigkeit, keinen
Frieden geben kann. Dass wir nicht schweigen, sondern dass wir widerständig sind,
solange es irgendwo auf der Welt Rassismus, Kolonialismus, Besatzung und
Unterdrückung gibt! Wir stehen mitten im Zentrum der imperialistischen Welt und rufen
deshalb:
From the belly of the beast – No Justice No Peace