Den ersten Teil des Prozessberichts findet ihr hier.
Im Berufungsprozess vor dem Landgericht wurde unser Genosse wegen Beleidigung verurteilt. Der gleiche Prozess brachte aber auch einen Freispruch mit sich, der politisch und versammlungsrechtlich ein wichtiger Erfolg ist. Der Genosse war angeklagt worden, weil er auf der Kundgebung am 07.10.2024 das „Existenzrecht des Staates Israel“ geleugnet hatte und weil er die Parole „From the River to the Sea [Palestine will be free]“ verwendet hatte. Damit verstieß er gegen die Auflagen der Polizei, die beides verboten hatte.
Schon im ersten Prozess vor dem Amtsgericht hatte der Richter geurteilt, dass die Auflagen „aller Voraussicht nach rechtswidrig“ waren. Mit Verweis auf ein Urteil des OLG Hamm aus den 80er Jahren urteilte er aber, dass selbst ein Verstoß gegen rechtswidrige Auflagen eine Straftat (als Versammlungsleiter) bzw. eine Ordnungswidrigkeit (als Versammlungsteilnehmer) sei. Denn die Polizei hatte eine bestimmte Formulierung in die Auflagen geschrieben: „Die sofortige Vollziehung wird angeordnet“. In so einem Fall sei es egal, ob die Auflagen rechtmäßig oder rechtswidrig seien. Wer dagegen verstößt, werde bestraft. Wer sich vor Strafverfolgung schützen wolle, müsse VOR der Versammlung in einem Eilverfahren gegen die Auflagen klagen.
Dieses Urteil war ein massiver Angriff auf die Versammlungsfreiheit. Denn es schützt nur diejenigen vor Strafverfolgung, die genügende Ressourcen wie Geld, Zeit, Wissen und Zugang zu Anwält:innen haben, um die Polizei zu verklagen. Wer diese Ressourcen nicht hat, muss sich den Auflagen beugen, egal wie absurd und schikanierend diese sind. Der Polizei würde die Tür geöffnet, um noch mehr rechtswidrige Auflagen zu erlassen. Sie müssten immer nur die Zauberformel der Repression reinschreiben: „Die sofortige Vollziehung wird angeordnet.“
Vor dem Landgericht wurde das Urteil aufgehoben. Der Richter wollte erst dem Amtsgericht folgen und verwies auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Der Anwalt unseres Genossen wies aber darauf hin, dass es ein höchstrichterliches Urteil vom Bundesverfassungsgericht gibt, das klar entschieden hat, dass ein Verstoß gegen Auflagen nur dann verurteilt werden kann, wenn diese überhaupt rechtmäßig waren.
Der Richter urteilte wie schon das Amtsgericht, dass die Auflagen der Polizei rechtswidrig gewesen sind. Das Leugnen des „Existenzrechts Israels“ und die Parole „From the River to the Sea“ sind nicht als solches strafbar, sie sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Erst „im Kontext der Verbrechen der Hamas“ würden diese Sachen strafbar. Dieser Teil bleibt schwammig und öffnet wiederum eine Tür für Repression, denn es wird nicht ausgeführt, was damit gemeint ist.
Für uns bedeutet das Urteil trotzdem einen doppelten Sieg: Die Feststellung, dass die Auflagen der Polizei rechtswidrig waren, wir das vermeintliche „Existenzrecht“ von Staaten ablehnen dürfen und dass wir Freiheit für Palästina, vom Fluss bis zum Meer, fordern dürfen, ist ein Sieg. Außerdem ist das Urteil eine gute Nachricht für alle Menschen, die eine Versammlung anmelden oder eine Versammlung besuchen: Sie können nicht so einfach für einen Verstoß gegen rechtswidrige Auflagen verurteilt werden.
Nachdem wir geklagt haben, haben sich nahezu alle Auflagen der Polizei, mit denen sie uns seit Oktober 2023 schikanieren, als rechtswidrig erwiesen. Sie wollten uns zwingen, ihre absurden Auflagen vorzulesen. Das war rechtswidrig. Sie wollten uns zwingen, alle möglichen verbotenen Organisationen aufzuzählen, deren Symbole nicht gezeigt werden dürfen, als hätten wir irgendeine Nähe zu diesen. Das war rechtswidrig. Sie wollten uns zwingen, der deutschen Staatsräson zu gehorchen, die von einem erfundenen „Existenzrecht“ schwafelt. Das war rechtswidrig. Sie wollten uns verbieten, Freiheit für ganz Palästina einzufordern. Das war rechtswidrig.
Auch wenn es ein Sieg ist, dass all das gerichtlich festgestellt wurde, müssen wir klar sehen, wie viel Schaden die Polizei angerichtet hat und dass ihre Taktik, mittels Auflagen zu spalten und zu regieren, erfolgreich war. Wie viel Polizeigewalt wurde mit diesen rechtswidrigen Auflagen begründet? Wie viele Medien haben gehetzt und verleumdet, weil Menschen From the River to the Sea riefen und die Polizei „eingreifen musste“? Wie viele unserer Mitmenschen wurden von dieser Polizeirepression und den Medienberichten abgeschreckt und haben sich nicht getraut, sich den Protesten anzuschließen, aus Angst, als Antisemit:innen abgestempelt zu werden?
Fuck the Police! Free Palestine!
