Am Dienstag fand vor dem Landgericht Münster der Berufungsprozess gegen unseren Genossen statt. Er war wegen Beleidigung und Verstoß gegen Auflagen während einer Versammlung am 07.10.2024 angeklagt worden. In der ersten Instanz war er in allen Fällen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 2700€ verurteilt worden. Das Landgericht Münster hob das vorherige Urteil jetzt teilweise auf. Der Prozess zeigte erneut, wie unkritisch die Rechtsprechung gegenüber dem bewaffneten Arm des Staates ist.
Unserem Genossen war vorgeworfen worden, auf der Kundgebung „Ihr seid Bullenschweine“ in Richtung der anwesenden Polizist:innen gerufen zu haben. Vor Gericht wurde der Polizist, der Anzeige erstattet hatte, als Zeuge befragt und ein Video der Polizei gesichtet, das die vermeintliche Tat zeigen soll. Obwohl schon im ersten Prozess klar geworden war, dass die Aussage „Ihr seid Bullenschweine“ nicht gefallen war, wiederholte der Polizist im Zeugenstand diese Aussage. Er warf unserem außerdem Genossen vor, „vehement in die Menge geguckt“ zu haben und ihn aus acht Metern Entfernung mit Augenkontakt „persönlich fixiert“ zu haben. Als der Richter fragte, wie er sich dabei fühlte, antwortete der Beamte, „so wie man sich auch sonst fühlt in so einer Situation, man nimmt das mit Faust in der Tasche zur Kenntnis und lässt es ohnmächtig über sich ergehen“. Weiter führte er aus: „Ich muss viel ertragen in meinem Beruf, aber irgendwann ist auch mal gut, dann darf man auch mal was sagen.“ Aber was hatte der Genosse so Schlimmes gesagt, dass der arme Beamte mit geballter Faust und Ohnmacht dastand?
Das Video zeigte, dass der Genosse die deutsche Polizei und verwandte Behörden kritisierte, er sprach von Waffen und Munition, die von Polizisten an faschistische Kräfte weitergegeben wurden, von rassistischen Polizei-Morden, vom Verfassungsschutz, der Akten vernichtet wie im NSU-Fall, von Abschiebungen durch die Polizei, von einer fehlenden Entnazifizierung deutscher Behörden und von der Funktion und Rolle, die die Polizei in diesem Staat einnimmt. Schließlich sagte er, wer als Polizist Waffen an Nazis weitergebe, müsse es aushalten, als Bullenschwein bezeichnet zu werden. Und er erinnerte die Polizist:innen daran, dass es nicht ihre Familien und Freund:innen sind, die in Palästina ermordet und abgeschlachtet werden mit deutscher Unterstützung. In dem Zusammenhang sagte er: „Seid mal nicht so empfindlich, ihr armen, armen Schweine.“
Dieser letzte Satz wurde als Beleidigung eingestuft. Aber auch die vorhergehende Kritik an der Polizei schien den Richter zu stören. Er sagte, unser Genosse habe das Ziel gehabt, die „Tätigkeit der Polizei in Verruf zu bringen“. Er verhängte nach eigenen Angaben eine besonders schwere Strafe, weil die Beleidigung vor großem Publikum stattgefunden habe und sich gegen Polizist:innen richtete, die „zum Schutz der Versammlung eingesetzt waren“ und „die Beleidigung ohnmächtig über sich ergehen lassen“ mussten. Deshalb verurteilte er den Genossen zu 1800 Euro Geldstrafe.
Das Urteil ist lächerlich, aber nicht verwunderlich. Der Prozess zeigte, wie die Justiz die Polizei bevorzugt behandelt. Polizist:innen gelten vor Gericht als „Berufszeugen“, d.h. ihre Aussage wird als besonders glaubhaft und vertrauenswürdig angesehen. Mehrere Aussagen des Polizisten hatten sich aber nach Videobeweis aber als falsch herausgestellt: Der vermeintliche Satz „Ihr seid Bullenschweine“ existierte nicht; außerdem weckte das Video Zweifel, ob überhaupt Augenkontakt bestand; schon gar nicht war eine „Fixierung mit Augenkontakt“ zu sehen. Trotzdem schenkte der Richter den Aussagen des Polizisten mehr Glauben als seinen eigenen Augen.
Schließlich zeigt sich, dass die Justiz den bürgerlichen, staatstragenden Blick auf den Staat und seine Organe teilt. Obwohl die Kritik des Genossen an der Institution Polizei auf Fakten basiert, will die Justiz ebenso wie der Rest staatlicher und bürgerlicher Kräfte nicht anerkennen, dass das Problem mit der Polizei keine Einzelfälle sind, sondern ihre Struktur und Funktion im kapitalistischen Klassenstaat ist. Dementsprechend sprechen sie von „Freund und Helfer“ und „Schutz der Versammlung“, während wir „Feind und Schläger“, Repression und Abschiebung, Schikane und Rassismus, erleben. Nicht wir bringen „die Tätigkeit der Polizei in Verruf“, sie selbst bringt sich tagtäglich in Verruf mit ihren Handlungen.
Und wenn die schwer bewaffneten, gepanzerten Freunde und Helfer damit konfrontiert werden, fühlen sie sich ohnmächtig… Arme Schweinchen!
